Heutige Landwirtschaft und ihr Blick Richtung Zukunft.
Kann uns die Landwirtschaft in Zukunft noch versorgen? Heute soll ein Raum für Menschen geschaffen werden, die offen und ehrlich Auskunft geben können, was es bedeutet, in der Landwirtschaft tätig zu sein.
Teil 1. Interview mit Jann Henning Dirks.
Würden Sie mir die Ehre erweisen, sich und Ihren Betrieb kurz vorzustellen?
Mein Name ist Jann Henning Dirks. Ich betreibe in dritter Generation mit meiner Frau und unseren beiden Söhnen inzwischen einen reinen Ackerbaubetrieb auf der Halbinsel Eiderstedt, Nordsee.
Was hat Sie an der Landwirtschaft fasziniert und bereitet Ihnen besondere Freude?
Die Landwirtschaft wird einem in die Wiege gelegt. Schon als Kinder liefen wir mit unserem Vater so nebenbei mit. Das ist auch heute noch so. So wichtig die Familie ist, der Betrieb geht immer vor. Und doch lieben wir das Ausüben dieses Berufes, weil wir mit und in der Natur, mit den Tieren, mit den eigenen Händen arbeiten und unser tägliches Brot draußen verdienen.
Welche Schwierigkeiten oder Probleme stehen dem in der heutigen Zeit gegenüber?
Natürlich waren Landwirte schon jeher abhängig vom Wetter, aber das größte Problem der heutigen Zeit ist die Regulierungswut der Politiker, sprich, ganz klar das, was da aus Brüssel kommt. Die tägliche Arbeitszeit, um fragwürdige Gesetze einzuhalten und zu dokumentieren, beträgt 10-15 Prozent. Daß wir nicht machen können, was wir wollen, sehe ich ja ein, aber wir reden hier von Vorwürfen, die für uns selbstverständlich sind. Niemand hat etwas davon, ein kostbares Gut wie Düngemittel oder Pflanzenschutzmittel auszubringen, wenn es nicht erforderlich wäre.
Wir können die Pflanzen nicht mehr nach Bedarf versorgen, was zu schlechten Ernten mit schlechterer Qualität führt. In naßen Jahren dürfen unter dem Vorwurf der Wasservergiftung im Herbst keine Wirtschaftsdünger (Gülle) ausgebracht werden. Das heißt, es müssen Behälter zugepachtet, Separationsanlagen zur Aufbereitung angeschafft und hohe Summen investiert werden, während aktuell in Kläranlagen in Deutschland durch die Energiekrise verursachtes Fehlen von Eisensulfat die Schwebstoffe in menschlichem Sekret nicht heraus selektiert. Ich frage mich, wo sind die Aufschreie von Umweltverbänden jetzt, wenn Schleswig-Holstein und drei weitere Bundesländer Sondergenehmigungen für das Einleiten in Gewässer trotz erhöhter Grenzwerte erhalten?
Landwirtschaft ist vergleichbar mit einer Fußball-Weltmeisterschaft. Da gibt es auch unzählige „Trainer“ vor dem Fernseher, die alle viel besser wissen, wie die Mannschaft am besten zu spielen hat, als diejenigen, die wirklich als Trainer tätig sind. Es folgt eine wahnwitzige Gesetzgebung oder Idee nach der anderen, obwohl unsere Selbstversorgung in vielen Bereichen nicht mehr deckend ist. Es werden Handelsabkommen mit Neuseeland und Kanada geschlossen. In Brasilien roden sie fröhlich den Regenwald.
Während die ganze Welt produziert, importieren wir die Ware und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, wie sie hergestellt ist oder was verwendet wurde. Entscheidend ist nur, daß die Grenzwerte eingehalten werden. Der Verbraucher hat gerade bei Fertiggerichten kaum eine Chance, herauszufinden, wo die einzelnen Zutaten eigentlich herkommen oder unter welchen Standards sie produziert sind. Dazu kommt, daß wir uns anmaßen, unsere Produktion weiter runterzufahren, um Produkte günstig in anderen Ländern aufzukaufen und dadurch die Waren dort künstlich verknappen. Da muß man sich nicht wundern, wenn diese Menschen dann flüchten, um ihre Familien zu ernähren. Das würden wir genauso tun.
Wir brauchen Transparenz. Eine Herkunftskennzeichnung wäre hilfreich. Früher stand „Made in Germany“ für ein Qualitätsmerkmal, Produkte wurden mit einer Deutschlandfahne gekennzeichnet. So könnten Verbraucher selbst entscheiden, ob sie das günstigste oder das qualitativste Produkt, von dem sie wissen, wo es herkommt, wünschen. Derzeit endet am Regal auch die Moral. In einem Projekt wurden deutsche Produkte in den Kühltheken gekennzeichnet, allerdings konnten sie sich gegenüber den Sonderangeboten, von denen keiner wußte, wo sie herkommen, nicht behaupten. Ich kann verstehen, wenn der Schuh überall drückt, greift man eher zu den günstigen Produkten. Aber auch Verbraucher können Druck auf den Einzelhandel ausüben, daß er Rechnung dafür trägt, wo die Ware herkommt.
Aktuelles Beispiel: Die Labelkennzeichnung von Herrn Özdemir betrifft ausschließlich die Mast von Schweinefleisch, das heißt ein 30 kg schweres Ferkel wird zur Mast von einem deutschen Betrieb übernommen. Wo es herkommt oder aufgezogen wurde, spielt überhaupt keine Rolle. Es muß nur unter augenscheinlichen Tierwohlbedingungen sechs Monate in Deutschland gemästet werden. Soll das ein Riesenfortschritt sein? Müßte nicht der komplette Kreislauf von der Geburt bis zur Verarbeitung dokumentiert und nachweisbar werden?
Die Politik will aktuell auch die Quote für Biolebensmittel von 10 auf 30 Prozent erhöhen, während derzeit die Milch zum selben Preis wie konventionelle Produkte angeboten wird, weil die Verbraucher nicht bereit sind oder es sich schlichtweg nicht leisten können, mehr Geld auszugeben. Diese Quote würde den Kollegen zusätzlich durch Überproduktion und sinkende Preise schaden. In vielen Bereichen haben wir diese Überproduktion nicht mehr, weil es nicht mehr kostendeckend und der psychische Druck zu hoch ist. Man weiß nie, ob man seine Millioneninvestitionen am Ende wieder herausbekommt. Ställe werden schließlich nicht in zwei Jahren, sondern über 20 Jahre abgeschrieben.
Aber nächstes Jahr [2023; Interview 2022 geführt] gibt es ja zum Glück die neue EU-Agrarreform. So wird aus den Agrarausgleichszahlungen eine Subvention, die eingeführt wurde, die Kosten für Lebensmittel gering zu halten und auf die wir angewiesen sind – die Grundstützungshilfe. Ähnlich wie bei Hartz IV und dem Bürgergeld. Diese wird gekürzt, obwohl unsere Kosten explodiert sind und dafür sorgen, daß wir uns noch schlechter fühlen.
Wie sehen Sie die Zukunftsperspektiven von Morgen, was sind Ihre nächsten Schritte, wie wollen Sie diese Ziele erreichen?
Wir reden hier von Lebensmitteln, dem kostbarsten Gut, das es gibt. Landwirtschaft ist die erste aller Künste. Ernährung betrifft jeden, daher versuchen wir seit drei Jahren in wöchentlichen Aktionen, dieses Thema für Bevölkerung und Politik zu sensibilisieren. Bisher mit ernüchterndem Ergebnis. Selbst als wir 2019 mit 15.000 Traktoren in Berlin waren, hat man das Thema den Bürgern regelrecht vorenthalten. Mein Wunsch ist es, mit der Arbeit, die wir da draußen machen, unseren Kühlschrank befüllt zu bekommen und auf die Grundstützungshilfe verzichten zu können. Es ist in der Regel so, daß man den Betrieb von der vorhergehenden Generation vererbt bekommt, im günstigsten Fall etwas vermehrt und an die nächste Generation weitergibt. Wir wollen keine großen Reichtümer oder Paläste, sondern einfach nur in Ruhe und Frieden leben. Wir wollen natürlich davon leben können, den Betrieb zukunftsfähig machen, modernisieren, weiterentwickeln und für die nächste Generation erhalten. Der Ansporn, etwas mehr zu machen, ist, glaube ich, das unternehmerische Denken. Aber eigentlich wollen wir nur von unserer Hände Arbeit leben können.
Bedauerlicherweise war das die letzten Jahre nicht möglich. Bei uns können weder Kiwis noch Bananen angebaut werden, so wie in anderen Ländern kein hochwertiger, brotbackfähiger Weizen. Es muß der Fokus darauf gesetzt werden, in welcher Region was am besten wächst und die Menschen, die dort leben, was am besten produzieren können, regional und saisonal. Davon lebt doch der Handel. Stattdessen reduzieren wir den Anbau und kaufen diesen woanders noch weg. Die Selbstversorgung auf ein Minimum herunterzufahren und in eine Abhängigkeit mit anderen Ländern zu bringen, ist ein gefährliches Spiel.
Wie die derzeitigen Ereignisse zeigen, können durch Regierungswechsel, Konflikte oder Pandemien weitreichende Krisen entstehen. Was ist, wenn die Container mit den Lebensmitteln nicht kommen? Was ist dann? Es macht sich scheinbar keiner Gedanken darüber, dass die Nahrungsmittelproduktion das Allerwichtigste überhaupt ist und warum es eben wichtig ist, diese im eigenen Land zu belassen, wo man weiß, wo es herkommt.
Herzlichen Dank für das Interview.
[MAB]
Den 2. Teil lesen Sie hier am 28. Mai 2023: 1000 Jahre Familientradition bewahrt.