Märchenanalyse Froschkönig.

Märchenanalyse Froschkönig.

Küssen oder Werfen?

Verwandeln sich Frösche in Prinzen, wenn man sie küsst? Es mag sein, daß diese Idee aus Hollywood stammt, aber ganz sicher nicht aus dem Märchen der Brüder Grimm. Dort wird der Frosch nicht durch einen Kuss in einen Prinzen verwandelt, sondern dadurch, daß er von der Prinzessin an die Wand geschleudert wird. Aber wie konnte es so weit kommen und warum war gerade das Werfen an die Wand und nicht das Küssen des Frosches so wichtig?

Einer jungen Prinzessin fällt beim Spielen im Wald ihre goldene Kugel in einen Brunnen. Sie ist verzweifelt, war die Kugel doch ihr liebstes Spielzeug. Ein Frosch, metaphorisch betrachtet der männliche Gegenpart zur Prinzessin, bietet an, zu helfen, aber nicht umsonst. Er schlägt die Schätze, die ihm die Prinzessin schenken will, aus und verlangt, daß sie ihn zum Freund nimmt und mit ihm Tisch und Bett teilt „…wenn du mich lieb haben willst, ich soll dein Geselle und Spielkamerad sein, an deinem Tischlein neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerlein essen, aus deinem Becherlein trinken, in deinem Bettlein schlafen…“.

Wenn man bedenkt, daß er sich nicht allzu sehr anstrengen muss, um die Kugel zu holen, ist das ein ziemlich hoher Preis. Die Königstochter verspricht ihm leichtfertig alles, wenn sie nur ihre Kugel wiederbekommt. Sie spürt zwar deutlich, daß mit der sich anbahnenden Beziehung etwas nicht in Ordnung ist, daß sie nicht auf gleicher Augenhöhe sind „… was der einfältige Frosch schwätzt, der sitzt im Wasser bei seinesgleichen und quakt, und kann keines Menschen Geselle sein“, aber sie lässt sich zunächst auf ihn ein.

Sobald sie aber ihre Kugel wieder hat, läuft sie damit nach Hause und lässt den Frosch sitzen. Dieser hockt am nächsten Tag vor dem Palasttor und bittet um Einlass. Die Königstochter erschrickt und weigert sich erst, bis der König ihr befiehlt: „Was du versprochen hast, das musst du auch halten, geh’ nur und mach’ ihm auf“. Mit dem Ortswechsel vom Wald in den Palast ist die Prinzessin wieder in der Realität angekommen: Hier gibt es Regeln und Prinzipien, an die man sich halten muss.

Und es scheint, als ob der König es damit sehr genau nimmt. Seine junge, vielleicht noch etwas naive Tochter hat sich geirrt, hat in ihrer Not zu viel versprochen und gibt das auch zu: „… da fiel meine goldene Kugel ins Wasser. Und weil ich so weinte, hat der Frosch sie wieder heraufgeholt und weil er es durchaus verlangte, so versprach ich ihm, er solle mein Geselle werden, ich dachte aber nimmermehr, daß er aus seinem Wasser herauskönnte“.

Doch der König, ihr Vater, hilft ihr nicht. Im Gegenteil, er zwingt sie in eine Situation, die für sie abstoßend und widerwärtig ist, der Frosch darf bei ihr sitzen, von ihrem Teller essen und schließlich muss sie ihn auch noch mit in ihr Zimmer nehmen. Dort verlangt er, in ihrem Bett zu liegen. Doch jetzt ist ihre Schamgrenze endgültig überschritten und nun setzt sie sich endlich zur Wehr, indem sie den Frosch an die Wand wirft.

Die Prinzessin steht im Märchen sinnbildlich für eine sich entwickelnde junge Frau, der Frosch nimmt die Rolle des männlichen Gegenspielers ein. Dadurch, daß die Prinzessin dem Frosch – also die Frau dem Mann − eine klare Grenze aufzeigt, versetzt sie ihn in die Lage, sich weiterzuentwickeln: Das Wunder geschieht und er verwandelt sich in einen schönen Prinzen, wird sozusagen ein erwachsener Mann. Jetzt wird auch klar, warum sie ihn nicht küsst: Mit einem Kuss kann man schlecht ein „bis hierher und nicht weiter“ zeigen. Am nächsten Morgen werden die beiden von einer Kutsche und dem treuen Diener des Prinzen abgeholt. Nun können sie gemeinsam wachsen, der Prinz kann König werden, die Prinzessin seine Königin.

Betrachten wir das Märchen unter dem einfachen Aspekt der Grenzsetzung, so ist es heute noch so aktuell wie damals. Um ihre Integrität zu bewahren und ihre Selbstachtung zu stärken, ist es für ein junges Mädchen wichtig, klare Linien zu ziehen. Ebenso stößt ein junger Mann an Grenzen, die ihm die Möglichkeit bieten, sein Verhalten zu reflektieren und so sein wahres Wesen zu entwickeln. Für beide ist es ein Reifeprozess, der ihnen eine gemeinsame Zukunft und die Verwirklichung ihres Potenzials als König und Königin ermöglicht.

[CHR]