Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schlug am 3. Oktober 2022 eine Verbalnote des polnischen Außenministeriums beim Auswärtigen Amt in Berlin ein. Polen verlangte von der Bundesregierung die Aufnahme von Verhandlungen über Kriegsentschädigungen aus dem sog. 2. Weltkrieg in Höhe von 1,3 Billionen Euro.
War dies ein Zeichen eines neuen polnischen Selbstbewusstseins? Die Forderung wurde von deutscher Seite unter Verweis auf die polnische Verzichtserklärung von 1953 über weitere Reparationszahlungen rundheraus abgelehnt. Diese Erklärung wurde in der Vergangenheit von mehreren polnischen Regierungen bestätigt. Unser östlicher Nachbar zeigt sich sowohl wirtschaftlich, politisch sowie militärstrategisch als ein Land, das eine Führungsrolle in Europa anstrebt.
Die USA unterhalten im pfälzischen Ramstein immer noch die größte Militärbasis außerhalb ihres Territoriums, innerhalb der Nato hat jedoch Polen inzwischen eine taktisch geschickte Schlüsselposition eingenommen. In unmittelbarer Nachbarschaft zu Russland beherbergt Polen unter den insgesamt neun Nato-Hauptquartieren das „Multinational Corps Northeast“ „zur Aufnahme und Führung der sogenannten Speerspitze der Nato“.
Ein Spiel mit dem Feuer, wie ein Blick auf die Geschichte verrät. Der Marsch Polens Richtung Moskau an der Seite Napoleons war ebenso gescheitert wie 1934 das Bündnis mit Hitler. Im aktuellen Kriegsgeschehen zeigte sich Polen bis vor kurzem solidarisch mit der Ukraine und lieferte Waffen und Panzer ins Kriegsgebiet.
Auf wirtschaftlicher Seite machte sich Polen bei den Ukrainern durch die Aufrechterhaltung des Einfuhrverbotes von Getreide unbeliebt. Nachdem die EU die Handelsbeschränkung bei ukrainischem Getreide und Ölsaaten aufgehoben hatte, hielt die polnische Führung am Einfuhrstopp fest. Die Regierung wollte sich kurz vor den Wahlen nicht den Unmut der Landwirte zuziehen, die durch das ausländische Getreide einen Preisverfall der inländischen Produkte befürchteten.
Im Rahmen der EU-Wirtschaft strebt Polen die führende Position für den europäischen Energiemarkt an. Bei der Erdgasversorgung möchte man sich östlich der Oder-Neiße-Linie zukünftig als Drehscheibe für den EU-Energiemarkt etablieren. So trifft es sich gut für unsere östlichen Nachbarn, daß just zum Zeitpunkt der Sprengung der Gaspipeline „Nordstream 2“ die von der EU geförderte „Baltic Pipe“ fertiggestellt wurde. Über dieses Rohrnetz soll Erdgas von Norwegen nach Polen geliefert werden. Die EU- Energiekommissarin Kadri Simson sieht darin „ein Schlüsselprojekt für die Versorgungssicherheit der Region“.
In Sachen Versorgungssicherheit mit elektrischem Strom setzen unsere Nachbarn unter anderem auf Kernkraft. „Außer der Kernenergie gibt es derzeit keine Technologie, die konventionelle Energie auf Kohlebasis ersetzen könnte“, behauptet Wojciech Dabrowski, Vorstandsvorsitzender von Polska Grupa Energetyczna (PGE), einem der größten Energieunternehmen Polens. Daher planen unsere Nachbarn den Bau von sechs neuen Atomkraftwerken bis 2043.
Die Handelsbilanz zwischen Polen und Deutschland weist seit Jahren einen stetigen Anstieg in beide Richtungen auf. Für das Jahr 2022 führte Deutschland Waren im Wert von 90,3 Milliarden Euro nach Polen aus, was einem Zuwachs von 14,9 Prozent zum Vorjahr entspricht. Dem steht die Einfuhr von Waren im Wert von 77,3 Milliarden Euro und demzufolge einer Steigerung von 12 Prozent gegenüber.
Wäre da nicht der EU-Haushalt, könnte man eine wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe vermuten. Die Zahlen für 2021 der Nettozahler und -empfänger innerhalb der EU lassen aufhorchen: Die BRD rangiert mit 21,3 Milliarden Euro vor Frankreich mit 10,6 Milliarden Euro auf Platz 1 der Geberländer; Polen stellt als größter Nettoempfänger mit 12,9 Milliarden Euro das Schlusslicht in dieser Statistik dar.
Im großen Unterschied zu den politischen und wirtschaftlichen Streitpunkten der Regierungen wünschen sich die Menschen der jeweiligen Länder jedoch etwas anderes. Weder die Polen noch die Deutschen wollen mehrheitlich Spannungen und Unfrieden mit dem Nachbarn. Im Gegenteil. In Polen wie in Deutschland gibt es eine große Minderheitengruppe des jeweils anderen, ohne daß es irgendwelche hervorzuhebenden Probleme untereinander gäbe.
Der Verdacht drängt sich auf, daß sich die „Spannungen“ ausschließlich auf der politischen sowie medialen Bühne abspielen, um die öffentliche Meinung in eine vorher festgelegte Richtung zu lenken. Eine Meinungsmache gegeneinander, für die leider manche Menschen − aber zum Glück auch nur eine Minderheit − empfänglich sind.
Ungeachtet dessen, was sich die Mehrheiten der Bevölkerungen wünschen, gibt es zusätzlich geopolitische, den jeweiligen Völkern nicht dienliche Bestrebungen nach irgendeiner statistischen oder militärischen Dominanz. Dies wird den Menschen dann über die Medien als für das Land entscheidende unverrückbare Standpunkte präsentiert, wie in einem schlechten Theaterstück.
Wäre es nicht für alle angenehmer, wenn wir aufhören, dieses Schauspiel ernstzunehmen, uns von den Sitzen begeben, dieses Theater verlassen und gemeinsam auf die gute Nachbarschaft die Gläser erheben?
[LIS]
Quellenverweise.
Polen als Drehscheibe im Energiemarkt.
Spannungen zwischen Polen und der BRD.
➘ https://www.n-tv.de/politik/Kaczynski-wettert-gegen-deutsche-Dominanz-article23760872.html
Polens Reparationsforderungen.
➘ https://de.wikipedia.org/wiki-Reparationsforderungen_Polens_gegen_die_Bundesrepublik_Deutschland
Weitere Quellen:
➘ https://www.auswaertiges-amt.de/de-service-laender-polen-node-bilateral-199110
➘ https://de.wikipedia.org/wiki/Anschlag_auf_die_Nord-Stream-Pipelines
➘ https://www.bundeswehr.de/de/organisation-heer-organisation-multinationales-korps-nordost
➘ https://www.bundestag.de/parlament-wehrbeauftragter-truppenbesuche-20220620-stettin-901744
➘ https://www.dw.com/de/ukrainisches-getreide-eu-osten-blockiert-den-import/a-66864873
➘ https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/514101-Polen-baut-sechs-neue-Atomkraft-Werke
➘ https://journalistenwatch.com/2023/04/29/polens-neues-selbstbewusstsein/
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