Elektronische Patientenakte als Einstieg in den gläsernen Patienten.

Elektronische Patientenakte als Einstieg in den gläsernen Patienten.

Seit dem 1. Januar 2021 besteht für alle gesetzlich Krankenversicherten das Angebot einer freiwilligen elektronischen Patientenakte (ePA). Diese ePA soll dazu dienen, im Notfall wichtige Daten schneller abrufen zu können und Mehrfachuntersuchungen wie bei einem Arztwechsel zu vermeiden. Sämtliche Daten und Befunde, die bisher nur in Papierform bei den unterschiedlichsten Praxen liegen, wären damit auf einem Blick einsehbar – für den Patienten und den Arzt. Die ePA wird in drei Schritten eingeführt. Zum 1. Juli 2021 waren sämtliche Kassenärzte verpflichtet, sich an die elektronische Patientenakte anzubinden. Wer das nicht tat, mußte Honorarkürzungen hinnehmen. Die Patienten können Arztbriefe, Laboruntersuchungen, Rezepte, Röntgenuntersuchungen usw. in ihre ePA hochladen. In der Startphase der ePA konnten die Patienten nur bestimmen, welcher Arzt auf die ePA zugreifen durfte, aber nicht welche Befunde er sehen konnte. Das hatte dazu geführt, daß der Zahnarzt sehen konnte, daß eine Frau z.B. wegen Chlamydien beim Gynäkologen und ein Mann wegen Erektionsstörungen beim Urologen war und umgekehrt, was Datenschützer scharf kritisiert hatten. Seit 2022 können die Patienten auch über die Freigabe einzelner Befunde entscheiden.

Ein weiteres Problem betrifft die ältere Generation, die oft kein Smartphone oder Internetanschluß besitzt. Sie kann die ePA nur eingeschränkt nutzen und sich die Daten in der Arztpraxis in die ePA hochladen lassen. Gerade für diese Menschen mit chronischen Erkrankungen und Behandlungen bei mehreren Ärzten wäre die Bündelung ihrer Gesundheitsdaten sinnvoll. Es ist fraglich, ob sich gerade Menschen mit diversen Krankheiten – wenn sie nicht technikaffin sind – die Mühe machen, nach jedem Arztbesuch sämtliche neuen Befunde in die ePA hochzuladen bzw. hochladen zu lassen.

2022 und 2023 werden weitere Nutzergruppen wie Reha-Kliniken, Physiotherapeuten oder Pflegepersonal angebunden. Außerdem wird ab 2023 der Funktionsbereich der ePA erweitert für Apps auf Rezept, Datenfreigabe an die Forschung und die digitale Identität. Dies gilt nur für gesetzlich Versicherte, Privatpatienten bleiben außen vor. Es haben schon Ärzte ihre Kassenzulassung zurückgegeben, weil sie sich aus Datenschutzgründen nicht an die Telematik-Infrastruktur (ohne diese funktioniert die ePA nicht) anschließen lassen wollten.

Gesundheitsdaten sind hochsensible Informationen, die bis auf wenige Ausnahmen niemanden etwas angehen. Und genau da liegt die Krux. Die Studie Technikradar 2022 der Körber-Stiftung erfragte die Einstellung der Teilnehmer zur ePA, wobei sich herausstellte, daß die Bevölkerung die ePA weitgehend skeptisch sieht. Nur 5% nutzen das Angebot derzeit. Mehr als 20% gaben sogar an, die ePA nicht nutzen zu wollen. Grund sind Bedenken beim Datenschutz (50%) und Unklarheiten darüber, wer die Daten einsehen kann (53%). Knapp ein Viertel kannte die ePA gar nicht. Die Leiterin des Projekts Kropp sieht das mit Sorge. „Die derzeit verbleibende Hälfte, die die ePA nutzt oder das vorhat, ist zu wenig“. Um aus den ab 2023 freiwillig der Forschung zur Verfügung gestellten Daten repräsentative Zusammenhänge zu gewinnen, mit denen sich über die Gesamtbevölkerung Aussagen treffen lassen, reiche die Zahl der potenziellen Nutzer aber nicht aus, so Kropp. Eine Hürde sieht die Expertin auch darin, daß die Nutzer aktiv der Datenweitergabe zustimmen müssen. „Es müsse die Regel sein, daß die Patientendaten der Forschung zur Verfügung stehen. Dies ist die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg der ePA überhaupt“, sagte Bundesgesundheitsminister Lauterbach kürzlich dazu. Kropp erwartet, daß Menschen mit digitaler Gesundheitskompetenz die ePA eher ablehnen werden, da sie Sorge haben, daß ihre Gesundheitsdaten möglicherweise mit zweifelhaften Institutionen geteilt werden. Der Studie nach sind viele Menschen nur bereit, ihre Daten unmittelbar an behandelnde Ärzte oder Kliniken weiterzugeben. Die Hälfte der Befragten lehnt es allerdings ab, die eigenen Daten an Forschungseinrichtungen weiterzugeben.

Die Europäische Kommission hat unlängst einen Entwurf für einen Gesundheitsdatenraum in der EU vorgelegt. Das stößt auf Bedenken beim Bundesverband der Vertragspsychotherapeuten (bvvp).

Alle EU-Bürger sollten demnach jederzeit im EU-Raum auf ihre Gesundheitsdaten zugreifen können. Laut bvvp schaffe eine europäische elektronische Patientenakte ein Datenvolumen in nie dagewesenem Ausmaß. Noch sei nicht genau definiert, wer, wann, welche Daten in diese Akten stellen darf, soll oder gar muß. Besonders kritisch sieht der Verband das Vorhaben, pauschal pseudonymisierte Gesundheitsdaten ohne genaue Definition des Pseudonymisierungsverfahrens für die Forschung freigeben zu wollen. Gegen diese Form der Datennutzung werde in Deutschland gerade Klage erhoben, da bei Pseudonymisierung der Daten ein Rückschluß auf die betroffene Person nicht ausgeschlossen sei.

Insgesamt gesehen dient die ePA – wie Bundesgesundheitsminister Lauterbach selber sagt – nur einem einzigen Zweck, nämlich Daten zu sammeln. Zuerst in den einzelnen Mitgliedsländern der EU und dann EU-weit. Damit ist der gläserne Patient perfekt. Ist das im Interesse der Menschen?

[RHÖ]

Quellenverweise.

https://www.datenschutz.org/elektronische-patientenakte/

https://www.gematik.de/anwendungen/e-patientenakte

https://www.kzbv.de/elektronische-patientenakte.1256.de.html

https://www.aerzteblatt.de/treffer?mode=s&wo=1041&typ=1&nid=134008&s=forschung&s=gesundheitsdaten

https://www.dr-datenschutz.de/telematikinfrastruktur-anschlusszwang-und-viele-probleme/

• Handelsblatt, Nr. 92 vom 12.5.22, S. 10: Technikradar 2022, Digitalisierung? Ja bitte!


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