Auf den Pfaden der Völkerverständigung, oder: Meinst Du, die Russen wollen Krieg? (Jewgeni Jewtuschenko)
Für mich war bis 2014 die Welt in Ordnung. Bis eines Tages unser ältester Nachkomme sagte: „Vater, weißt Du eigentlich, daß wir in Europa, genau genommen in der Ukraine, Krieg haben und daß „Dein“ Pastor Gauck mehr militärisches Engagement der Bundeswehr fordert?“ Dies war sozusagen mein/unser Schlüsselerlebnis und meine Frau und ich begannen zu recherchieren.
Seit dem Hinweis unseres Sohnes besuchten wir mehrfach Vorträge von Daniele Ganser, fuhren zu Mahnwachen und Demos nach Berlin, Bautzen, Plauen etc. und lernten so Mark Bartalmai kennen. Mark ging als freier Journalist und Filmemacher sehr frühzeitig in den Donbass. Dort dokumentierte er, wie sich das Leben vor Ort nach dem Regime-Change 2014 in der Ukraine veränderte. Sein erster Dokumentarfilm „Ukrainian Agony“ wurde beim Dok-Film Festival „Demokratie in Flammen“ in Berlin mit dem 1. Preis prämiert. Übrigens: in den hiesigen Medien wird Mark B. als Journalist des Kremls geführt, was hinterfragende Menschen nicht verwundert. Ein zweiter Film folgte 2017 „Frontstadt Donezk“. Aber die Vorträge und Mahnwachen waren das Eine – wir wollten mehr. Als Dr. Rainer Rothfuß, ehemaliger Dozent an der Universität in Tübingen, bei einer Sendung „Positionen“ von Ken FM, im Dezember 2015 in den Raum warf „… man müßte mal eine Friedensfahrt nach Rußland machen“ wurde bei uns der Funke gezündet.
Ziel dieser Friedensfahrt sollte sein, auf die russische Bevölkerung zuzugehen, um ihr unseren unbedingten Friedenswillen zu bekunden – entgegen der Rußlandhetze in deutschen Medien. Als Inhaber eines Werbeunternehmens wollten wir uns dabei aktiv einbringen. Dabei half uns der Kontakt zu Mark Bartalmai und den Machern von „free21“, die wiederum die Verbindung zu Rainer Rothfuß herstellten. Wir beteiligten uns bei der gestalterischen Umsetzung des Vorhabens und betreiben seitdem den Friedensfahrt-Shop. Die Zahl der Interessenten an der Friedensfahrt nach Rußland wuchs zusehends, was man auf der Facebook Seite täglich verfolgen konnte.
Am 7. August 2016 war es dann soweit – die Friedensfahrt nach Rußland startete vom Brandenburger Tor, wo sich einige tausend Menschen zur Verabschiedung einfanden. Die Fahrzeugkolonne setzte sich zusammen aus ca. 70 Pkw und Transportern, 8 Motorrädern und einem Reisebus, sowie ca. 250 Teilnehmern aus 8 Ländern. Die Einstellung gegenüber den Russen war schon besonders geprägt und zwiegespalten. Gerade in Anbetracht des Einmarsches der Sowjets 1945 hat auch so manche deutsche Familie ihre traurigen Erinnerungen, welche eher vor Scham totgeschwiegen werden. Mit unserer Fahrt wollten wir jedoch auf russischer Seite signalisieren, daß es sehr viele Menschen in unserem Land gibt, welche nicht auf die Propaganda hereinfallen und sehr wohl einzuordnen wissen, wo die Kriegstreiber seit über 100 Jahren sitzen.
Unsere Rundreise führte uns durch folgende 6 Länder: Polen, Litauen, Lettland, Estland, Rußland Weißrußland. Mit ca. 5.000 Km Wegstrecke waren die Tage zusätzlich mit Kranzniederlegungen, Presseterminen und Abendveranstaltungen bis über die Belastungsgrenze gefüllt. So mancher Tagesablauf war ein Wechselbad der Gefühle, das Lachen und Weinen lagen oft dicht beieinander. Auf der einen Seite die Momente an den Gedenkstätten, welche das Herz zuschnürten und Tränen erzeugten und auf der anderen Seite der ausgelassene Austausch und das Feiern mit den Menschen.
Sehr bezeichnend empfanden wir auch das Interesse an uns Deutschen, sowie das Wissen der jungen Menschen über die Deutsche Geschichte – wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, daß die Russen wesentlich besser über den Status quo der Deutschen unterrichtet sind, als die Deutschen selbst. Im Gegensatz zu den deutschen Medien ist die Resonanz in Rußland sehr groß. Eine Nachrichtensendung begann mit den Worten: „DIE DEUTSCHEN RÜCKEN WIEDER AUF MOSKAU VOR – DIESMAL JEDOCH MIT GUTEN INTENTIONEN! Klasse! Weiter so! FÜR DEN FRIEDEN!“ Durch die Präsenz in den Medien ergab es sich, daß die Bitte einer kleinen Gemeinde an die Organisatoren herangetragen wurde, auch ihren kleinen Ort zu besuchen. So kam es zu dem Treffen in Utorgosch – einer kleinen Gemeinde, welche ihr Gemeindehaus für den Besuch aus Deutschland herrichtete. Trotz ihrer beschränkten finanziellen Mittel feierten wir dort gemeinsam und verlebten ein paar schöne Stunden. Dieses Erlebnis war so intensiv, daß sich Freunde gleich nach der Friedensfahrt erneut auf den Weg machten, um u.a. die Sanitäranlagen in der Schule auf eigene Kosten instand zu setzen – die Freundschaften werden bis heute gepflegt.
Was uns sonst noch besonders in Erinnerung blieb, sind die riesigen Kreuze am Zubringer nach St. Petersburg. Gefühlt alle 10 km stehen große Kreuze als Mahnung an den Einmarsch der Deutschen, sowie der Blockade Leningrads. Die Trauerkultur ist im allgemeinen in Rußland besonders ausgeprägt, so haben wir z.B. in St. Petersburg erlebt, daß Hochzeitspaare nach der Trauung ihrer Verstorbenen gedachten und an einer besonderen Stelle an der Neva, welche sich quer durch St. Petersburg schlängelt, Blumen niederlegten. Dieses Wachhalten der Erinnerung an die Gefallenen spielt leider in unserer westlich geprägten Welt gar keine Rolle mehr und es ist meines Erachtens nach auch nicht gewollt.
Weiter ging die Fahrt nach Moskau. Um eine kleine Pause einzulegen wurde der Besuch in Moskau auf 2 Tage festgelegt, was einem kleinen Urlaub glich. Zeit zum Entspannen im Gorki Park aber auch ein Besuch auf dem Vereinsgelände der Nachtwölfe, sozusagen bei den „gefährlichsten Rockern der Welt“, wie westliche Medien propagieren, welche uns das ein- oder andere Mal vor den Stadtgrenzen empfingen und durch die Städte geleiteten. Wenn wir Resümee ziehen, haben wir schon wahrgenommen, daß aus Sicht der Infrastruktur in den kleinen Städten die Zeit still zu stehen scheint, im Gegensatz zu den modernen Großstädten.
Wir lernten die Mentalität der Russen kennen, sowie ihre Offenherzigkeit Deutschen gegenüber. Wir konnten ihre Lebensfreude wahrnehmen, den Stolz auf ihr Land, die Besinnung auf ihre Wurzeln und die Pflege ihrer Kultur und Traditionen, was uns sehr beeindruckte und Parallelen zu uns erkennen ließ. Ganz im Sinne der Völkerverständigung war dies nur der Auftakt einer wunderbaren Freundschaft mit unseren Nachbarn.
[AM]
Quellenverweise.
➘ https://druschba-global.org/
➘ https://taz.de/Kommentar-Gauck-und-Militaereinsaetze/!5040012/
➘ https://www.heise.de/tp/features/Ostukrainische-Frauen-Womit-haben-wir-das-verdient-3377367.html
➘ https://www.city-werbung-nb.de/friedensfahrt/author/angelika/
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