Parlamentarismus in der Krise.

Parlamentarismus in der Krise.

Immer mehr Menschen sind unzufrieden mit den Zuständen in der Bundesrepublik, denn seit dem Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 brodelt es gewaltig in Deutschland. Dabei sind Grundrechtseinschränkungen nur die Spitze des Eisbergs.

Als Folge der Coronamaßnahmen ist ein wirtschaftlicher Einbruch zu verzeichnen, der sich inflationsbedingt darin zeigt, daß Energie und Lebensmittel teurer werden. Sind die Parlamentarier nicht gehalten, das Wohl des Volkes zu berücksichtigen und – soweit möglich – Schaden von ihm abzuwenden? Ist nicht der Wille des Volkes umzusetzen?

Gemäß Artikel 20 des Grundgesetzes (GG) sind sie das zweifelsohne. Die gesetzgebende Gewalt (Legislative) geht in der BRD auf Bundesebene vom Bundestag aus. Auf Landesebene erlassen die Länderparlamente die Gesetze. Aber bleiben wir auf der Bundesebene. Wie werden die Beschlüsse gefaßt, die dann für alle bindend sind?

Ein Gesetzesentwurf kann sowohl von Abgeordneten des Bundestags eingebracht werden als auch vom Bundesrat oder von der Bundesregierung. Landet der Vorschlag dann im Bundestag, wird über den Entwurf in drei sogenannten Lesungen debattiert. Anschließend kommt es zur Abstimmung. Der Vorschlag gilt als angenommen, wenn mehr als die Hälfte der anwesenden Stimmberechtigten zustimmt. Die Gesetze müssen dann dem Bundesrat vorgelegt und abschließend vom Bundespräsidenten unterschrieben werden. Daneben muß das Gesetz noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden, damit es rechtswirksam wird. Wie sieht nun die Gesetzgebung in der Praxis aus?

Die Volksvertreter sollten in ihrem Abstimmungsverhalten möglichst unabhängig sein. Eine erste Hürde dabei ist der sogenannte Fraktionszwang. Will heißen: Die Parteien beschließen meist schon vor der Schlußabstimmung, wie ihre Mitglieder abstimmen sollen. Weiterhin stellt die strikte Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive (ausführende Gewalt) und Judikative (rechtsprechende Gewalt) einen Grundpfeiler des demokratischen Prinzips dar. Wie weit wir in Deutschland von diesem Ideal entfernt sind, wurde in der letzten Ausgabe des Bundesboten im Artikel „Prinzipien des Staates“ dargelegt. Im Zuge der Pandemie wurde dieses Prinzip dann endgültig ausgehebelt.

Die Bundesregierung überging schlichtweg das Parlament, indem sie Rechtsverordnungen erließ. Das Infektionsschutzgesetz ermächtigt die Exekutive, Verordnungen zu erlassen, die nicht nur eines parlamentarischen Konsenses entbehren, vielmehr entzieht sich die Regierung damit bei ihren Beschlüssen komplett einer Debatte. Die ehemalige Bundeskanzlerin Merkel beriet die Verordnungen zu Grundrechtseinschränkungen mehrmals in Videokonferenzen mit den Ministerpräsidenten der Bundesländer und durch die deutsche Presselandschaft geisterte die Wortschöpfung „Verordnungsdemokratie“. Der Bundestag kann durch diese Vorgehensweise zusätzlich seiner Funktion der Kontrolle der Regierung nicht mehr nachkommen. Wie bereits erwähnt, ist die Gewaltenteilung ein Grundprinzip der Demokratie. Handelt es sich dabei um ein unerreichbares Ideal oder gibt es historische Beispiele dafür, daß es auch anders geht?

Der Journalist Tomas Spahn ist der Überzeugung, daß die Unabhängigkeit der Abgeordneten im deutschen Kaiserreich gewährleistet war. Spahn setzt in einem Aufsatz auf der Weltnetzseite „Tichys Einblick“ das deutsche Kaiserreich sogar mit einer Demokratie gleich und führt weiter aus „dass sie im Sinne der Gewaltenteilung sogar deutlich demokratischer gewesen ist als die gegenwärtige Bundesrepublik“. Er begründet seine Behauptung damit, daß im „Sinne strikter Gewaltenteilung (…) die Exekutivaufgabe streng von der Legislativaufgabe getrennt“ war. „Deshalb lag die Benennung des Reichskanzlers als oberstem Beamten der Exekutive beim Kaiser als Präsident des Reichs“. Spahn schreibt weiter: „Abgeordnete, die ein höheres Staatsamt auf Reichsoder Landesebene besetzten, mussten im Sinne der Gewaltenteilung aus dem Parlament ausscheiden.“

Sollten wir nun rückwärtsgewandt in die Zukunft schauen? Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker verdeutlichte einst: „Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“

[LIS]

Quellenverweise.

Verordnungen ohne Parlament, Demokratie auf Abwegen.

https://www.dw.com/de/pandemie-und-parlamente-h%C3%B6hlt-corona-die-demokratie-aus/a-55333358

Deutscher Bundestag Gesetzgebung.

https://www.bundestag.de/services/glossar/glossar/G/gesgeb-245440

Deutsches Kaiserreich und Demokratie.

https://www.tichyseinblick.de/kolumnen/spahns-spitzwege/wie-demokratisch-das-kaiserreich-wirklich-war/

https://de.wikipedia.org/wiki/Legislative

https://bundesbote.org/prinzipien-des-staates/

https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/rechtsgrundlagen/gewaltenteilung-246408

https://de.wikipedia.org/wiki/Parlamentarische_Kontrolle

https://www.bundestag.de/services/glossar/glossar/R/rechtsverord-245520

https://zitate.net/vergangenheit-zitate


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